Teil A- Übergeordnete
städtebauliche Entwicklungslinien in der DDR
Teil B- Städtebauliche Entwicklung in Dresden
Teil C - Beispiele dieser Zeit
Teil A:
Übergeordnete städtebauliche Entwicklungslinien in der DDR
Die funktionelle Stadt II
1. Abkehr von stalinistischen Bauen (Chruschtschows
baupolitischer Kurswechsel, erste Reaktionen in der DDR, neue Aufgaben
im Systemwettbewerb, Orientierung am westdeutschen Bauen)
Chruschtschows baupolitischer Kurswechsel,
erste Reaktionen in der DDR:
Stalins Tod 1953 leitete in der Sowjetunion einen baupolitischen Kurswechsel
ein, der sich mit einer zeitlichen Verzögerung auch auf die DDR auswirkte.
Getragen wurde dieser Kurswechsel von der Rückkehr zum Leitbild der
funktionellen Stadt. Mit dem Beschluss über die Produktion von Stahlbetonfertigteilen
waren die Bedingungen für eine breite Industrialisierung des Bauwesens
auf der Basis des Montagebaus geschaffen. Auf der Moskauer Allunionsbaukonferenz
im Dezember 1954 bekräftigte Chruschtschow die Forderung nach der
Ausarbeitung von Typenentwürfen und der Industrialisierung des Bauens
durch die Entwicklung der Fertigteilbauweise. Er griff das „schöne
Bauen“ als Ursache der hohen Baukosten an und übte ideelle
Kritik am Wesen der stalinistischen Architektur. In den Verzierungen der
Gebäudefassaden mit dekorativen Elementen sah der Neue KPdSU-Vorsitzende
keine baukünstlerische Gestaltung. Wenngleich Chruschtschows verbal
noch am Kampf gegen den Konstruktivismus festhielt, machten seine Ausführungen
zur Fassadengestaltung doch deutlich, dass er eben diesen zum architekturtheoretischen
Programm erheben wollte.
Die Rede Chruschtschows schuf große Verwirrung und Unsicherheit
in DDR. Was erst vor wenigen Jahren gegen vielfältige Widerstände
durchgesetzt worden war, konnte nicht über Nacht als falsch hingestellt
werden. Die Abkehr vom sozialistischen Realismus in der Architektur, die
in der Sowjetunion als bewusstseinsbildende Maßnahme Teil der Entstalinisierung
galt, musste in der DDR das gesamte auf der Verwendung nationaler Bauformen
errichtete Gedankengebäude ins Wanken bringen und die Stellung der
SED im Systemwettbewerb mit der BRD schwächen. Die Bauakademie erachtete
es aus diesen Gründen richtig, am nationalen Bauen festzuhalten.
Dennoch wurde die Notwendigkeit der Kostensenkung im Bauen erkannt. Daher
wurden Bemühungen um eine stärkere Berücksichtigung bautechnischer
Bedingungen, dass heißt einer besseren Verknüpfung zwischen
Technik, Wissenschaft und Kunst besonders hervorgehoben. Insbesondere
der Aufwand für Architekturdetails sollte gesenkt werden. Zu diesem
Zweck erhielt die Deutsche Bauakademie nach der Baukonferenz die Auflage
für die in industrieller Bauweise auszuarbeitenden Typenserien, die
weiterhin die kulturellen Traditionen zu berücksichtigen hatten,
industriell herzustellende Bauelemente (Fenster- und Türeinfassungen,
Verkleidungen usw.) zu entwickeln. Mit der sparsamen Verwendung von Architekturdetails
konzentrierten sich die Bemühungen um eine nationale Architektur
daraufhin auf kostenneutrale Gestaltungselemente wie der Symmetrie des
Baukörpers oder dem Fensterformat.
Mit dem Kurswechsel in der Baupolitik rückte auch die Wohnungsbauproduktion
in den Mittelpunkt. Maßnahmen zur Behebung des Wohnungsnotstandes
konzentrierten sich bis 1953 auf die Instandsetzung kriegsbeschädigten
Wohnraums. Ab 1954 wurden Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften gegründet.
Über den Zeitraum, der zur Überwindung des Wohnungsdefizits
nötig sein würde, bestand Unklarheit, denn auch in der Bauwirtschaft
gab es keine Perspektivplanung wie in anderen Bereichen der Volkswirtschaft
auch.
In dieser von großer Unsicherheit geprägten Zeit schritt die
Entwicklung in der Sowjetunion voran. Chruschtschows Kritik an der stalinistische
Architektur setzte sich durch, das Zentralkomitee und der Ministerrat
verurteilten den hohen Kostenaufwand für die Verwendung dekorativer,
aus der Vergangenheit übernommener Elemente als Hindernis für
die Produktion von mehr Wohnfläche. Das Hauptaugenmerk lag auf Fragen
der Wirtschaftlichkeit. Sowjetische Architektur sollte sich nunmehr durch
Einfachheit, Strenge der Form und Sparsamkeit der Lösungen auszeichnen.
Die geistige Abwendung vom nationalen Bauen hatte zwangsläufig die
Orientierung am westlichen Baugeschehen zur Folge.
Für die Planung des neuen Wohngebietes Fennpfuhl in Berlin-Lichtenberg
wurde 1956 ein gesamtdeutscher Städtebauwettbewerb vom Rat des Stadtbezirks
ausgeschriebenen, zu dem 16 Architekten aus beiden deutschen Staaten eingeladen
wurden. Den 1. Preis erhielt Ernst May aus Hamburg, den 2. Preis Otto
Englberger von der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar
und der 3. Preis ging an Georg Funk von der Technischen Hochschule Dresden.
Die Preisträgerentwürfe orientierten sich am modernen westlichen
Städtebau mit offener, von der Straßenführung unabhängiger
Bebauung. Schon während der Laufzeit des Fennpfuhl-Wettbewerbes wurde
die SED Architekturkontrolle aufgehoben. Dies konnte für die DDR-Architekten
als Signal zur Orientierung am wirtschaftlichen funktionellen Bauen gewertet
werden. Innerhalb kürzester Zeit setzte sich die westliche Architektur
in der Baupraxis durch.
2. Typisierte und industrialisierte Wohnungsbauproduktion
(Ziel der Typisierung und Industrialisierung, Ziegelbauweise, Blockbauweise,
Plattenbauweise, Raumzellenbauweise, Skelettbauweise, Widerstand gegen
die zentrale Typenprojektierung
Auf der Baukonferenz der DDR 1955 bekräftigte
auch Walter Ulbricht die Dringlichkeit der Typisierung und Industrialisierung
im Bauwesen. Die Industrialisierung bezog sich sowohl auf die Vorfertigung
der Bauelemente, die entsprechend den Bedingungen der maschinellen Massenfertigung
eine Herstellung von hohen Stückzahlen identischer Fertigteil erforderte,
als auch auf den Bauprozess, dessen Organisation auf der Basis der Takt-
und Fließfertigung, die Montage einer großen Anzahl möglichst
gleichartiger Gebäude verlangte. Die bisherige Einzelfertigung von
Bauwerken war vom Prinzip der subjektiven Arbeitsteilung ausgegangen,
dass heißt der Bauablaufplan wurde nach einzelnen, der Ausbildung
der Handwerker entsprechenden Gewerke gegliedert. Wegen des unterschiedlichen
Bauzeitbedarfs war jedoch keine kontinuierliche Beschäftigung der
einzelnen Gewerke möglich. Stillstandzeiten im Bauablauf waren die
Folge. Beim nunmehr eingeführten Prinzip der objektiven Arbeitsteilung
als einer der maschinellen Produktion entsprechenden Form der Arbeitsorganisation
wurde der Bauprozess so aufgeteilt, dass sich alle Phasen des Roh- und
Ausbaus gleichzeitig mit gleicher Baugeschwindigkeit vollzogen. Brigaden,
die sich nach den zur Ausführung des jeweiligen Takts notwendigen
Handwerker zusammensetzten, spezialisierten sich auf einzelne Teilprozesse
dieser Taktaufgliederung. So wurde der zeitlich zusammenhängende
Bau von möglichst vielen Objekten desselben Typs, unter der möglichst
lückenlos Beschäftigung aller Brigaden durchführbar. Die
Dauer eines Takts richtete sich nach der Montagegeschwindigkeit des Krans
und betrug beispielsweise bei einem aus vier Zweispännersektionen
bestehenden fünfgeschossigen Wohnblock der Wohnbauserie 70 (WBS 70)
zwölf Tage. Infolge des Ineinandergreifens der Taktschritte ergab
sich für diesen Wohnblock eine Gesamtbauzeit von 38 Tagen. Der Bau
von Typengebäuden ermöglichte die exakte Bestimmung der Bauzeit,
der Arbeitskräfte, der Baumaterialien und der Baumaschinen.
3. Stadterneuerung (Ziel der Stadterneuerung,
Extensive Stadtentwicklung, Maßnahmen der Stadterneuerung, Zeitliche
Verschiebung der Erneuerungsmaßnahmen)
Die Baupolitik wurde seit 1955 zu einem
immer engeren Bestandteil der Wirtschaftpolitik, wobei die kulturell-ästhetische
Dimension der baulich-räumlichen Umwelt in den Hintergrund der Planungen
rückte. Im selben Maße trat ihre materielle Bedeutung als Teil
der volkswirtschaftlichen Grundfonds hervor. Die neue gesellschaftliche
Hauptaufgabe, beinhaltete die Steigerung der Arbeitsproduktivität
und führte über die Industrialisierung des Bauwesens und die
angestrebte städtebauliche Struktur als Bedingung und Ziel des Reproduktionsprozesses
der Bausubstanz zum Wandel im Umgang mit der vorhandenen Stadt. Eine Folge
der Durchsetzung des industriellen Bauens war die Verlagerung der Bautätigkeit
von innerstädtischen Gebieten auf unerschlossene Flächen am
Stadtrand. Aufgrund spezifischer Bedingungen der Typenprojektierung und
des industriellen Bauprozesses wurde das Bauen auf kleinen Standorten
und insbesondere die Schließung einzelner Baulücken ineffektiv.
Individuell zugeschnittene bebaubare Grundstücke in der Innenstadt
ließen keine Anwendung der starren Typengebäude zu.
Die Altbaugebiete genügten nicht mehr den Anforderungen der Volkswirtschaft
und wurden dem Stillstand überlassen. Die Erneuerung der Stadt machte
somit die Neuordnung der Funktionen Wohnen/Arbeiten, den Ausbau des Straßennetzes
und die Rationalisierung des Einzelhandelsnetzes erforderlich. Um die
Effektivität der Produktion zu erhöhen, mussten Arbeitsstätten
aus den Altbaumischgebieten verlagert und in Industriekomplexen konzentriert
werden. Die Zusammenfassung von Gewerbebetrieben in Industriekomplexen
ermöglichte die gemeinsame Nutzung von Nebenanlagen wie Sozial- und
Verwaltungsgebäuden oder Reparaturstützpunkten, wodurch Investitions-
und Betriebskosten gesenkt werden konnten.
4. Entstehung eines sozialistischen Baustils (Suche
nach einer neuen Architekturtheorie, Industrielles Bauen unter marktwirtschaftlichen
Bedingungen, Typisierung und Industrialisierung als Kriterium sozialistischer
Architektur)
Der gesamte Wandel im Baugeschehen bis
1955 war ohne ideologische Legitimierung verlaufen. Das Ergebnis des Fennpfuhl-Wettbewerbs
und die rasche Adaption an die westdeutsche Architektur nach der Aufhebung
der Architekturkontrolle bedeutete für sozialistischen Städtebau
zwangsläufig eine tiefe Krise. In der Öffentlichkeit machte
sich so die Anschauung deutlich, dass es die Frage nach einer sozialistischen
oder kapitalistischen Architektur gar nicht gäbe. Der zwangsläufige
Rückschluss bedeutete, dass wenn sich die DDR-Architektur der westlichen
annähert, so muss auch die ideologische Position des DDR-Sozialismus
dem westdeutschen Gesellschaftssystem angenähert werden müssen.
Die praktische Angleichung im Bauschaffen nach der 1955 gesicherten staatlichen
Existenz der DDR bedeutete keine unmittelbare Bedrohung der Macht der
SED mehr. Jedoch erforderte der Standpunkt der SED, wonach die friedliche
Koexistenz beider deutscher Staaten keine ideologische Koexistenz von
Sozialismus und Kapitalismus besagte, die verbale Abgrenzung von der westdeutschen
Architektur. Das Kriterium sozialistischen Bauschaffens, nämlich
die Industrialisierung des Bauwesens wurde die Hauptaufgabe der Baupolitik.
Auf der Grundlage des industriellen Bauens wurde die Entstehung eines
„sozialistischen Baustil der Deutschen Demokratischen Republik“
postuliert. Weiterhin galt die Typisierung der Gebäude im städtebaulichen
Ensemble als Zeichen sozialistischen Bauens. Die Kritik am westdeutschen
Bauen verlagerte sich auf die dort vorherrschende individuelle Projektierung.
Als exemplarisch für den westdeutschen Städtebau galt das zur
Interbau 1957 errichtete West-Berliner Hansaviertel, was als Prototyp
kapitalistischen Bauens tituliert wurde. Die Individualität im Bauen
sollte überwunden werden.
5. Widerspiegelung der sozialistischen Lebensweise
(Monotoniekritik, Vergesellschaftung von Wohnfunktionen, Offene Bebauung,
Städtebauliche Ensembles)
Die mit der Typenprojektierung verbundene
Monotonisierung des Wohnungsbaus stieß bald auf Kritik in der Bevölkerung.
Die Architekturdiskussion wurde 1962 Gegenstand einer Beratung des Zentralkomitees.
Dabei wurde von der Auffassung abgerückt, Bauen sei vornehmlich ein
technisch-ökonomischer Prozess. Man machte sich die öffentliche
Kritik zu eigen und bemängelte, dass bei allen Erfolgen des industriellen
Bauens die Entwicklung der künstlerischen Seite der Architektur vernachlässigt
und die Gefahr der Monotonie nicht rechtzeitig gebannt worden sei. Die
SED schob die Verantwortung den Architekten zu.
Auf der Suche nach Leitlinien zur baulich-räumlichen Umsetzung der
sozialistischen Lebensweise in der architekturtheoretischen Forschung
bedingte die Auseinandersetzung mit Ideen von Vertretern des utopischen
Sozialismus wie Robert Owen, die im 19. Jahrhundert von kollektiven Lebensformen
ausgehend konkrete Vorstellungen entwickelt hatten. Die utopische Sozialisten
spielten keine Vorbildfunktion, da die Resultate vormarxistisches Denken
darstellten. Vielmehr wurde ihnen unterstellt, ihre baulich-räumliche
Ordnung liefe den Intentionen kollektiven Lebens zuwider und fördere
den Individualismus. Dennoch wurde der von den utopischen Sozialisten
vorgeschlagene Bau von Gemeinschaftseinrichtungen als räumlicher
Basis der zu vergesellschaftenden Haushaltsfunktionen zu einem wesentlichen
Kriterium des sozialen Inhalts der sozialistischen Stadt. Die Verlagerung
von Haushaltsfunktionen in gesellschaftliche Einrichtungen eröffnete
durch die Erschließung von Arbeitskräftereserven ein beträchtliches
Potential zur Steigerung der materiellen Produktion. Die Ablösung
der Frau von der Hausarbeit und ihre Eingliederung in den Produktionsprozess
ermöglichte auch den Übergang von der extensiven zur intensiven
territorialen Sicherung der materiellen Produktion. In Verbindung mit
der Diskussion um kollektive Lebensformen entstanden in 60er Jahren in
der DDR Projekte für den Bau von Großwohneinheiten, die der
in den zwanziger Jahren entstandenen Konzeption sowjetischer Kollektivhäuser
folgten. Die vertikale Überlagerung individueller und gemeinschaftlicher
Wohnfunktionen sollte eine maximale Annäherung beider Bereiche bewirken
und die Verflechtung des privaten und kollektiven Lebens fördern.
Die Realisierung solcher Projekte scheiterte aufgrund der technischen
Unmöglichkeit zur Herstellung baulicher Funktionsüberlagerungen.
Dennoch bildete sich die Auffassung vom Wohnkomplex heraus, der nicht
nur als Einheit zur rationellen Versorgung der Bevölkerung bestand,
sondern dem in erster Linie eine gemeinschaftliche Aufgabe zugewiesen
wurde. Aus dem hofbildenden „Häuserviertel“ des stalinistischen
Städtebaus wurde die aus mehreren Zeilenbauten bestehende „Wohngruppe“.
Mehrere Wohngruppen bildeten einen Wohnkomplex.
Ein weiteres Merkmal des sozialistischen Bauens wurde in der Abkehr von
geschlossenen Bebauungsformen der frühen fünfziger Jahre gesehen.
Die Forderung nach offenen Bebauungsformen kam gleichzeitig den Erfordernissen
des industriellen Bauens entgegenkam. Diese Feststellung wurde ideologisch
legitimiert. Das Prinzip der Blockbebauung führe nach Ansicht der
politischen Führung zu voneinander isolierten Höfen und zu einem
räumlichen und architektonischen Widerspruch zwischen Straße
und Hofraum, was im Widerspruch zu den sozialistischen Lebensbeziehungen
der Menschen stände. Die offene Bebauung sollte die Trennung zwischen
privatem und öffentlichem Außenbereich aufheben und sämtliche
Freiräume zu öffentlichen Räumen werden lassen.
Postulat einer im Sozialismus vorhandenen Identität privater und
kollektiver Interessen musste gleichfalls in der Gestalt der Stadt zum
Ausdruck kommen. Dies galt insbesondere für städtebauliche Ensembles.
Die Aufgabe bestand darin, die den individuellen Wünschen privater
Bauherren entspringende Vielgestaltigkeit der westlichen Stadt zu überwinden
und eine harmonische, aufeinander abgestimmte, dem kollektiven Zusammenwirken
entsprechende Stadtgestaltung zu erreichen. Die Vorstellung von Harmonie
der Gesellschaft führte zur Auffassung von der Stadt als einheitlichem
Bauensemble.
6. Synthese von Architektur und bildender Kunst
(Überwindung der Monotonie, Gebäude als Großskulpturen)
Die Moskauer Allunions-Städtebaukonferenz
hatte 1960 die Synthese von Architektur, monumentaler Malerei und bildender
Kunst als Mittel zur Schaffung einer größeren künstlerischen
Ausdruckskraft städtebaulicher Ensembles herausgestellt und so ein
Mittel zur Überwindung der Monotonie angeboten.
Die Darstellungsfähigkeit der bildenden Kunst sollte über eine
ästhetische Aufwertung der Gebäude hinaus deren nunmehr wieder
konstatierten Ideengehalt zum Ausdruck bringen. Die Architektur erhielt
damit von neuem eine Widerspiegelungsfunktion zugewiesen. Das angestrebte
Zusammenwirken von Architekten und bildenden Künstlern realisierte
sich erstmals 1962 auf der 5. Deutschen Kunstausstellung in Dresden. 1967
wurde eine Zentrale Arbeitsgruppe Architektur und bildende Kunst des BDA
und des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands gebildet. Dies
war ein erster Schritt zu einer ständigen, organisierten Zusammenarbeit
beider Verbände.
Eine anderes Konzept zur Synthese zwischen Architektur und Kunst war die
Errichtung von Gebäude als Großskulpturen. Hierzu gehörten
die Ausschmückung von Gebäuden mit Bildfriesen und das Aufstellen
von Monumentalplastiken im Stadtzentrum. Es gab auch Planungen für
eine Reihe von Stadtzentren, die die Errichtung von Gebäuden als
Großskulpturen in der Funktion städtebaulichen Dominanten zur
Charakterisierung der jeweiligen Stadt vorsahen. Angesichts der mit Typenprojekten
wiederaufgebauten Stadtzentren sollte so jeder Stadt eine individuelle
Note verliehen werden. Einzig für die Verlagsstadt Leipzig wurde
ein Hochhaus in Form eines aufgeschlagenen Buches erbaut. Die Realisierung
der meisten Bauten fiel dem Wohnungsbauprogramm des VIII. SED-Parteitag
zum Opfer.
7. Wandlung des gesellschaftlichen Inhalts der
sozialistischen Stadt (Abkehr von der kulturellen Höhendominante,
Neue Zentrumsfunktionen)
Im Zuge der Entstalinisierung und der
Verschiebung der gesellschaftspolitischen Prioritäten von der Befriedigung
ideeller zur Befriedigung materieller Bedürfnisse, wandelte sich
der gesellschaftliche Inhalt der sozialistischen Stadt und seine Wiederspiegelung
im Stadtzentrum. Walter Ulbricht verwahrte sich gegen Chruschtschows Kritik
am Bau von Turmhäusern, wonach Ende der fünfziger Jahre Städtebauwettbewerbe
weiterhin vom Konzept der Magistrale und des Zentralen Platzes mit Höhendominante
ausgingen. Die Wettbewerbsteilnehmer hatten sich mit dem Widerspruch zwischen
erwünschter Turmform und den funktionalen Anforderungen eines Kulturhauses
auseinander zusetzen, dessen Mehrzwecksaal als zentraler Teil des Gebäudes
keine vertikale, sondern horizontale Ausdehnung der Baumasse verlangte.
Ludwig Weil verzichtete im 1959 ausgeschriebenen Wettbewerb für das
Haus der sozialistischen Kultur in Dresden auf die gesellschaftliche Dominante.
Sein Entwurf eines flachen Baukörpers wurde zunächst abgelehnt,
1969 dennoch fertiggestellt. Dieser Bau wurde für die gesamte DDR
zum Signal zur Abkehr von der kulturellen Dominante. Die ideologische
Legitimierung des Verzichts auf kulturelle bauliche Höhepunkte unterstrich,
dass es die Volksverbundenheit der sozialistischen Kultur geradezu verbiete,
Kulturhäuser gegenüber der Masse der übrigen Bauten hervorzuheben.
Zeitgleich zur Abkehr von der kulturellen Höhendominante entstanden
Zweifel am praktischen Wert der Magistrale und des Zentralen Platzes.
Die politisch-kulturelle Zweckbestimmung des sozialistischen Stadtzentrums
trat in den Hintergrund und die Notwendigkeit der Definition neuer Zentrumsfunktionen
entstand.
Der kapitalistischen City als „Central Business District“
wurde das urbane, belebte sozialistische Stadtzentrum entgegengestellt.
Der menschenleeren Stadtmitte sollte vor allem durch Wohnungsbau abgeholfen
werden. Hinzu kamen zwei Grundfunktionen, die Austauschfunktion und die
Funktion der gesellschaftlichen Leitung, d.h. Handel und Wirtschaft. Zum
Wesensmerkmal des sozialistischen Stadtzentrums wurde der Warenverkauf.
Denkmalpflege
Mit Rückkehr zum Leitbild der funktionellen
Stadt war wie im Zeitraum vor 1950 die gesamte Altbausubstanz einen starken
Geringschätzung unterworfen. Die aus vorsozialistischer Zeit stammende
baulich-räumliche Umwelt musste den Anforderungen der sozialistischen
Lebensweise angepasst werden.
Kunsthistorisch wertvolle Bausubstanz in Stadtzentren, die in fünfziger
Jahren für den Wiederaufbau vorbereitet wurden, fielen nun häufig
gleichfalls dem Abriss zum Opfer. Heftige Auseinandersetzungen in Bevölkerung
waren nur teilweise erfolgreich. Der historische Stadtgrundriss war gleichfalls
von der Missachtung überlieferter Werte betroffen. In den Planungen
zum Wiederaufbau der Stadtzentren in fünfziger Jahren wurde oft noch
mittelalterliche Grundrisse beachtet, konnten mit der Großzügigkeit
und Weiträumigkeit als Wesenszug sozialistischer Städte jedoch
schwerlich in Einklang gebracht werden. Um den sozialistischen Charakter
der Städte in der DDR zu veranschaulichen und sich von der Zurückgebliebenheit
des westdeutschen Städtebaus abzugrenzen, der meist alte Grundrisse
erhalten hatte, musste man sich vom Leitbild der schönen Stadt abwenden.
Eine offene, helle Bebauung waren gefordert.
Teil B:
Städtebauliche Entwicklung in Dresden
Bruchteile der sozialistischen Großstadt
Nach Chruschtows Rede am 30.11.1954
auf der Allunionskonferenz der Bauschaffenden in Moskau wurde ein Richtungswechsel
von der „schönen deutschen Stadt“ zur technologischen
Optimierung des Bauwesens vollzogen. Am 21.04.1953 erging der Beschluss
in den vier Aufbaustädten (Rostock, Magdeburg, Leipzig, Dresden)
und Karl-Marx-Stadt sowie Stalinstadt „Chefarchitekten“ einzusetzen.
Diese unterstanden dem Oberbürgermeister und trugen die Verantwortung
für die Durchführung der Stadtplanungsarbeiten und der städtebaulichen
und architektonischen Belange der Stadt. Die Chefarchitekten seien nötig,
um die Perspektivplanung für dieses Städte sowie die architektonische
Gestaltung ihrer Zentren und Wohnkomplexe richtig vornehmen zu können.
In Dresden wurde Herbert Schneider am 01.07.1955 zum Chefarchitekten ernannt.
Der neu eingesetzte Beirat für Bauwesen kam nach einer Analyse der
Berichte aller Institutionen in Dresden am 19.10.1955 zu dem Schluss,
das die Planung der Magistrale Dresdens und die Stadtkomposition in der
vorliegenden Form aus städtebaulichen, gestalterischen, funktionellen-
und wirtschaftlichen Gründen abzulehnen sind. Fast alle Entwürfe
werden als gleichförmig, ungeformt und spannungslos eingestuft, auch
scheinbar nebensächliche Details werden kritisiert. Die Kritik führt
zur Bildung einer Kommission zur Konsultation und Überprüfung
der Planungen in Dresden. Das Wirken derartiger Kommissionen war bereits
in anderen Städten sichtbar geworden. Es beinhaltete meistens eher
eine Verschleierung von Defiziten durch die bürokratische Aufarbeitung
der Probleme. Tatsächlich wir nur eine gewisse Auflockerung vorgeschlagen.
Die Planungen zum zentralen Platz und zum Kulturhochhaus werden nicht
in Frage gestellt. Das „Haus der Kultur“ sollte angesichts
von Chruschtows Rede wie ein Rudiment alter Planungen wirken, steht es
doch für Verschwendungssucht Stalins. Dennoch wird bis zum Sommer
1956 an der Konzeption festgehalten. Erst dann wird aus dem die Silhouette
dominierenden Hochhaus ein schlankes Turmhaus. Aus dem Turmhaus wird 1959
ein freigestellter Turm. Danach wird der Gedanke an eine gesellschaftliche
Dominante in Silhouette aufgegeben.
Quellen / Literaturtipps:
Nr.
[6] - [7] - [8]
Teil C:
Beispiele für Gebäude, Ensembles und Objekte dieser Zeit
Andreas-Schubert-Bau
(TU Dresden)
Montagehalle
des ehem. VEB Transformatoren- und Röntgenwerk (TuR)
Trainingsstätte
für Kunst- und Turmspringen ("Springerschule")
Verwaltungsgebäude der Wasserwirtschaftsdirektion
Obere Elbe – Mulde
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